MITTWOCH, 21.15 UHR

Er betrat sein Haus und verwandelte sich wieder in den unscheinbaren Hans Schmidt, den viele kannten, und zog sich um. Er legte sich aufs Bett, rief Maria an und genoss es, ihre Stimme zu hören.

»Hallo, meine Liebe.« In diesem Augenblick wünschte er sich nichts lieber, als bei ihr zu sein. »Senhor Schmidt, ich habe sehnsüchtig auf deinen Anruf gewartet. Der Kamin ist fertig, und ich würde so gerne mit dir zusammen ...«

»Ich auch mit dir. Haben sie ordentliche Arbeit abgeliefert?«

»Oh ja, du wirst es sehen. Das Zimmer ist vollkommen verändert. Ich mache ihn erst an, wenn du wieder hier bist. Aber was ist los mit dir, du klingst anders als sonst?«

»Ich bin nur müde. Es ist kalt und nass, ich mag das überhaupt nicht mehr. Außerdem fehlst du mir.« »Soll ich kommen?«

»Nein, ich müsste dich viel zu oft alleine lassen. Ich versuche, so schnell wie möglich wieder bei dir zu sein, und dann machen wir uns eine schöne Zeit vor dem Kamin.« »Das Haus ist so leer, wenn du nicht da bist. Ich schlafe auch nicht sonderlich gut ohne dich. Komm bald zurück.«

»Maria, ich habe noch einige wichtige Dinge zu erledigen, sehr wichtige Dinge. Dabei würde ich lieber heute als morgen wieder bei dir sein. Lass uns lieber aufhören zu telefonieren, sonst werde ich zu traurig. Ich habe in jedem Fall eine Überraschung für dich, wenn ich nach Hause komme.«

»Eine Überraschung? Was ist es?«

»Wenn ich es dir jetzt sage, ist es doch keine Überraschung mehr«, antwortete Schmidt lachend. »Du wirst dich noch ein wenig gedulden müssen.« »Ich bin schrecklich neugierig, das weißt du.« »Ich weiß, aber ich bin ja bald zu Hause. Maria, lass uns morgen wieder telefonieren, ich habe noch einen wichtigen Termin.«

»Jetzt, um diese Zeit? Bei dir ist es doch schon Viertel nach neun.«

»Manche Kunden haben eben erst sehr spät Zeit. Bis morgen. Schlaf gut und träum was Süßes.« »Ich werde von dir träumen, nur von dir. Gute Nacht, Senhor Schmidt, und vergiss nie, dass ich dich liebe.« »Maria, wie könnte ich das jemals vergessen? Pass auf dich auf. Und denk dran: Ich liebe dich auch.« Er legte auf, ohne eine weitere Erwiderung abzuwarten. Er hielt den Hörer noch eine Weile in der Hand und überlegte, ob er bei Sarah Schumann anrufen sollte. Eine innere Stimme sagte ihm, er solle es tun, eine andere, er solle es besser lassen. Schließlich tippte er ihre Nummer ein.

»Hallo, Sarah. Ich wollte mich nur bei dir melden ...«

»Kommst du?«, fragte sie schnell.

»Warum?«

»Um mir Gesellschaft zu leisten. Ich fühle mich heute sehr, sehr einsam. Nur ein wenig Gesellschaft. Ich bitte dich darum, und du kennst mich, ich bitte nur selten um einen Gefallen.«

»Also gut. Ich bin in zehn Minuten bei dir.« »Danke.«

Er ging noch einmal ins Bad, kämmte sich und legte etwas Eau de Toilette auf.

Er schüttelte den Kopf. Du bist wahnsinnig, dachte er und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Du bist wirklich wahnsinnig. Du sagst zu Maria, dass du sie liebst, und dann gehst du zu Sarah. Das ist nicht fair, aber ich kann Sarah auch nicht einfach ignorieren. Er ließ das Licht brennen und sah nach allen Seiten, als er das Haus verließ, es war nichts Auffälliges zu erkennen. Mit ausgreifenden Schritten lief er die vierhundert Meter bis zu Sarahs Villa. Er klingelte dreimal kurz hintereinander, ein Zeichen, das sie bereits vor vielen Jahren ausgemacht hatten und das nicht nur für Kiel, sondern auch für Frankfurt, Nizza und alle anderen Orte galt, wo Sarah Schumann ein Haus oder eine Wohnung besaß. Ein leises Summen, eine helle Beleuchtung ging an, und er drückte das Tor auf, das sich von allein wieder schloss. Die Haustür stand einen Spalt offen. Sarah saß mit angewinkelten Beinen in einem schwarzen Hausanzug aus Seide auf dem langgestreckten Ledersofa. Vom Dienstmädchen, das das ganze Jahr über das Haus hütete, war weit und breit nichts zu sehen.

»Schön, dass du gekommen bist. Ich habe Sabine gesagt, dass ich sie nicht mehr brauche, falls du dich wunderst, wo sie ist.«

»Es gibt nichts, worüber ich mich noch wundern könnte.«

»Setz dich zu mir. Darf ich dir etwas zu trinken anbieten? Kaffee, Tee oder Saft?«

»Einen Pfefferminztee, wenn du einen hast«, antwortete Hans Schmidt und setzte sich neben Sarah, die nach einem exotischen Parfüm duftete, nicht aufdringlich, sondern dezent und deshalb umso verführerischer. »Trinkst du eigentlich auch noch etwas anderes außer Pfefferminztee und Wasser?«, fragte Sarah Schumann mit einem spöttischen Lächeln, das jedoch nichts Verletzendes hatte.

»Natürlich, aber jetzt ist mir nach Pfefferminztee.« »Den sollst du haben«, sagte sie und ging in die Küche. Sie war barfuß, und es war nicht zu übersehen, dass sie unter dem Hausanzug nackt war. Ihre Figur konnte sich mit jeder jungen Frau messen: die schlanke Taille, das weibliche Becken, die wohlgeformten und noch immer festen Brüste, die perfekten Beine. Sie tat auch etwas dafür, sie trieb viel Sport, ernährte sich gesund und unterließ Ausschweifungen jeglicher Art, trieb sich nicht auf Partys herum und umgab sich nur mit ausgewählten Menschen.

Mit einem Mal wurde ihm bewusst, wie einsam sie war. Eine schöne, reiche Frau, die an jedem Finger zehn Männer hätte haben können, die aber seit dem Tod ihres Mannes keine feste Beziehung mehr eingegangen war, entweder aus Angst, wieder an den Falschen zu geraten, oder weil sie es einfach nicht mehr wollte. Genannt hatte sie ihm den Grund nie, sie war dieser Frage stets ausgewichen.

Sie hatte Freunde und Bekannte auf der ganzen Welt, sie hatte zwei verheiratete Töchter, die in den USA beziehungsweise Neuseeland lebten, sie reiste viel, und es gab kaum einen Flecken auf der Erde, den sie noch nicht gesehen hatte. Dennoch war eine Leere in ihr, die sie selbst nicht genauer zu beschreiben vermochte, wie sie Hans Schmidt vor nicht allzu langer Zeit erklärt hatte. Er hatte sie in ihrem Haus in Nizza besucht, und sie hatten auf der Terrasse gemeinsam den Sonnenuntergang genossen. Es war einer jener seltenen Momente gewesen, in denen Sarah Schumann nicht die starke, unantastbare Frau gab, sondern melancholisch, fast depressiv wirkte. Hans Schmidt hatte einfach nur seine Hand auf ihre gelegt. An diesem Abend hatte er zum ersten Mal begriffen, dass sie nicht kühl und unnahbar war, sondern sich nach etwas sehnte, von dem sie wusste, dass sie es niemals bekommen würde - Liebe. Und wenn sie es auch nicht direkt ausgesprochen hatte, so spürte er doch, wie sehr sie Maria darum beneidete, mit Hans Schmidt zusammen zu sein, mit dem Mann, mit dem sie schon einige Male geschlafen hatte und der sich doch nie für sie entschieden hatte. Aber das war auch kein Wunder, schließlich trennten sie dreizehn Jahre, mindestens sechs oder sieben Jahre zu viel. Hans Schmidt hörte Sarah in der Küche hantieren, es klang, als würde sie ein opulentes Mahl kochen, doch es war nur eine Kanne Pfefferminztee, mit der sie kurz darauf zurückkehrte. Sie stellte sie auf ein Stövchen, nahm zwei erlesene Tassen und Untertassen aus der Glasvitrine und schenkte ein, wobei sie sich so weit nach vorne lehnte, dass er in den Ausschnitt ihres Hausanzugs blicken konnte. Ihm war klar, dass sie testen wollte, ob das, was sie ihm zeigte, ihn erregte.

Sie nahm wieder Platz, ihre Haare schimmerten rötlich im Licht der vielen Kerzen, die eine gemütliche und warme Atmosphäre schufen, während es draußen wie schon die ganzen Tage und Wochen zuvor nasskalt und wenig Vorfrühlings haft war.

»Was hast du heute Abend gemacht?«, fragte sie. »Das weißt du doch.«

»Erzähl's mir trotzdem. Du hast mir bisher nicht verraten, wer es diesmal war.« »Lass uns über etwas anderes sprechen. Bitte.« »Verrat mir wenigsten eins: Wie hast du's gemacht?« »Also gut, du lässt ja sowieso nicht locker. Mit einem Kontaktgift, das nach einer halben Stunde im Körper nicht mehr nachweisbar ist, nicht einmal an der Hand, mit der er den Autogriff angefasst hat. Dafür ist der Tod recht langsam eingetreten, ich habe mich eine Weile mit ihm unterhalten«, sagte er mit einem beinahe entrückten Lächeln, »das heißt, ich habe geredet, denn er konnte nicht, weil er sich in einer katatonischen Starre befand. Kein schöner Tod, das kann ich dir sagen, gegen dieses Gift ist kein Kraut gewachsen. Am Ende wird die Diagnose Herzinfarkt lauten. Reden wir nicht mehr darüber. Mit allem, was ich noch vorhabe, hast du nichts mehr zu tun, okay?«

»Wenn du meinst. Trink deinen Tee, er wird sonst kalt.« Sie rückte näher an ihn heran und legte den Kopf an seine Schulter. Er streichelte ihr durchs Haar, das fast so gut duftete wie das von Maria. Im nächsten Moment korrigierte er sich: Es duftete anders als Marias, aber nicht schlechter.

»Hast du es dir überlegt?«, fragte sie leise, ohne ihn anzusehen.

»Was meinst du?«

»Ich habe dir heute Nachmittag eine Frage gestellt. Du weißt schon«, sagte sie und strich mit der Hand über seinen Oberschenkel.

»Du duftest gut«, antwortete er ausweichend.

»Ich weiß. Es ist nur für dich. Kommst du mit nach oben?«

Sie setzte sich aufrecht hin, nahm seine Hand und zog ihn hoch. »Komm, tu mir den Gefallen, nur dieses eine Mal.«

»Es ist immer nur dieses eine Mal.« »Na und? Hat es der Beziehung zwischen dir und Maria etwa geschadet? Du liebst sie, und das respektiere ich, du brauchst auch kein schlechtes Gewissen zu haben, warum auch? Du tust niemandem weh. Oder hast du schon jemals ein schlechtes Gewissen gehabt, nachdem du jemanden ... Entschuldige, das war ein unpassender Vergleich, bitte vergiss es wieder.« »Ist schon gut, du hast ja recht.«

»Na also. Es ist nur Sex, nichts als Sex. Ich will dich nicht besitzen, ich werde dir auch nie Steine in den Weg legen oder Dinge tun, die dir schaden könnten, dazu mag ich dich viel zu sehr.« Sie vermied das Wort »lieben«, um ihn nicht zu verschrecken. »Maria wird nie etwas davon erfahren.« »Sicher, aber ...«

»Kein Aber. Nicht diesmal. Ich will es, und ich weiß, du willst es auch. Es war doch jedes Mal schön. Oder hast du es anders empfunden? Hast du mich jedes Mal angelogen, wenn du gesagt hast, dass es dir gefallen hat?« »Nein, ich habe es immer ehrlich gemeint.« »Ich lasse dir die Wahl: Entweder du kommst mit nach oben, oder du gehst wieder zu dir. Aber ich halte es an deiner Seite heute nicht aus, ohne von dir berührt zu werden. Bitte, auch wenn ich es hasse zu betteln ...« Hans Schmidt schürzte die Lippen. »Du weißt, dass ich dich liebe, auch wenn ich es dir nie gesagt habe. Aber es gibt eine Frau, die liebe ich noch mehr. Sie darf niemals von uns erfahren. Schwöre es.«

»Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist. Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich deine Beziehung zu Maria niemals gefährden würde? Niemals, denn ich liebe dich auch. Nie im Leben würde ich dir schaden. Ich sehne mich nach dir, und das ist mehr, als ich dir eigentlich sagen wollte. Kommst du jetzt mit?« Hans Schmidt stand wortlos auf und nickte. Er reichte ihr die Hand, um ihr hochzuhelfen, und küsste sie. »Maria ...«

»Denk jetzt nicht an Maria. Im Moment gibt es nur noch uns.«

Sie gingen in den ersten Stock und liebten sich über zwei Stunden. Es war weit nach Mitternacht, als Sarah Schumann ihren Kopf auf den Arm stützte und Schmidt lange ansah, als wollte sie seine Gedanken lesen. »Was ist?«, fragte er. »Ich muss etwas mit dir besprechen.« »Worum geht's?«

»Es ist kompliziert. Ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, dir etwas ganz Wichtiges zu ... erklären.« Ursprünglich hatte sie das Wort »beichten« verwenden wollen.

Als sie innehielt und den Blick senkte, erschien sie ihm mit einem Mal wie ein junges, unschuldiges Mädchen. Sanft ließ er seine Finger über ihr Gesicht gleiten. »Nun mach's nicht so spannend, ich werde dir schon nicht den Kopf abreißen.«

»Darum geht es gar nicht.« Sie hob den Blick und sah Schmidt lange und schweigend an, als überlegte sie, wie sie ihre nächsten Worte am besten formulieren konnte. Schließlich sagte sie: »Du hast mich noch gar nicht gefragt, warum ich nach Kiel gekommen bin. Willst du das gar nicht wissen?«

»Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, vielleicht ist es dir in Frankfurt langweilig geworden«, antwortete er unsicher. Sarah war die einzige Person auf der ganzen Welt, die ihn tatsächlich verunsichern konnte. »Es hat einen Grund, weshalb ich ausgerechnet jetzt hier bin. Wie lange kennen wir uns schon? Im Oktober werden es fünfundzwanzig Jahre, und du hast mich nie gefragt, wer ich wirklich bin. Du hast mir immer blind vertraut, oder sehe ich das falsch?«

»Nein, aber ... Nein, das heißt, ja, ich habe dir immer vertraut«, antwortete er noch eine Spur unsicherer. »Lass mich dir etwas erklären, und es kann sein, dass du mich hinterher verfluchen wirst. Aber da muss ich durch, ich werde auch das verkraften.« Nach einem Augenblick fuhr sie mit angehobener Stimme, in der auch Wut und Verzweiflung mitschwangen, fort: »Warum hast du nie Fragen gestellt? Warum, verdammt noch mal, hast du nie Fragen gestellt?«

»Welche Fragen hätte ich denn stellen sollen?«, fragte Schmidt mit ratloser Miene.

»Zum Beispiel, wie es nach dem Tod meines Mannes mit mir weitergegangen ist. Du hast mich nie gefragt, wer meine Kontaktleute sind oder wie der Kontakt zustande gekommen ist ... Du hast nie Fragen gestellt, niemals, sondern immer nur die Aufträge zur vollsten Zufriedenheit der Auftraggeber erfüllt. Wie ein Roboter, wobei ich das nicht despektierlich meine, das weißt du. Ich denke, es ist an der Zeit, dir endlich alles zu erklären. Bist du bereit für die Wahrheit?« Sie sah ihn aus ihren braunen Augen an, es schien für einen Moment, als kämpfte sie mit den Tränen, doch dann hatte sie sich wie stets unter Kontrolle.

»Natürlich«, antwortete er verwirrt. Eine Gefühlsregung, die ihm, dem Pragmatiker, eher fremd war. Emotionen leistete er sich nur, wenn er mit Maria zusammen war. Doch das hier war Sarah, die er fast sein halbes Leben lang kannte, und mit einem Mal wurde ihm bewusst, dass auch sie ihn besser kannte als irgendjemand sonst, denn im Gegensatz zu Maria wusste sie auch um seine dunklen Seiten, die Abgründe, in denen er sich bewegte. »Eine Frage: Hast du mich all die Jahre über belogen?« »Nein, ich habe dich nie belogen, ich habe dir nur einige Dinge vorenthalten. Dich anlügen, nein, das würde ich niemals tun. Auch ich habe eine Frage an dich: Was hättest du getan, wenn keine Aufträge gekommen wären, nachdem du meinen Mann getötet hast? Warte, ich glaube, ich kenne die Antwort. Du hättest dein Studium beendet, was du ja auch getan hast, und danach wärst du ganz normal ins Berufsleben eingestiegen und hättest heute mit Sicherheit eine Frau, Kinder und ein geregeltes Leben. Ihr würdet in einem Reihenhaus in einer langweiligen Vorstadt leben und ... Wir hätten uns längst aus den Augen verloren, wir wussten nichts mehr voneinander. Denn anfangs war von meiner Seite aus nur geplant, dass du mir meinen Mann vom Hals schaffst. Korrigier mich, wenn ich falschliege.«

»Nein, so ungefähr wäre mein Leben wohl verlaufen. Obwohl ich Reihenhäuser schon immer gehasst habe, ich hätte zumindest versucht, es bis zu einem Bungalow zu schaffen. Ich verstehe trotzdem nicht, was du mit dieser Frage bezweckst. Du hast mich in den folgenden Jahren weitervermittelt, und ich habe mein Bestes gegeben.« »Ich weiß. Aber ich hätte dich niemals weitervermittelt, hätte es dafür nicht einen Grund gegeben oder, besser gesagt, einen Auslöser. Glaub mir, es hatte nichts mit Dankbarkeit zu tun, sondern es steckte etwas anderes dahinter.« Sie stockte, senkte den Blick und schien für einen Augenblick weit weg zu sein. Mit einem Mal sah sie Schmidt direkt an, es war ein trauriger Blick. »Als ich alles geplant hatte, dachte ich, mir könne nichts passieren. Dabei hatte ich einen wesentlichen Punkt nicht berücksichtigt, nämlich die exzellenten Beziehungen meines Mannes ... Möchtest du auch etwas trinken? Ich habe eine ganz trockene Kehle. Ein Glas Wasser?« »Ja. Warte, ich hole es.« Schmidt stand auf - er war splitternackt -, ging drei Schritte zu einem Schrank und holte eine Flasche Wasser und zwei Gläser heraus. Er schenkte ein und reichte Sarah ein Glas.

»Danke«, sagte sie und trank. »Natürlich wurde ich von der Polizei mehrfach verhört, und schließlich war für die klar, dass ich nichts mit seinem Tod zu tun hatte. Nicht lange danach standen zwei Beamte vom Verfassungsschutz bei mir auf der Matte und befragten mich nach Manfreds Tod. Sie wollten wissen, ob ich eine Vorstellung hätte, wer hinter seiner Ermordung stecken könnte. Sie wüssten zwar, dass ich ihn nicht selbst umgebracht habe, aber sie wüssten genauso gut, dass er eine Menge Feinde hatte und ich doch sicherlich Namen nennen könne, denn gerade als Ehefrau bekomme man doch so einiges mit. Natürlich nannte ich ihnen Namen von Menschen, die meinem Mann nicht wohlgesinnt waren, was hätte ich auch sonst tun sollen, aber einer der beiden blieb misstrauisch. Das Schlimme war, ich kannte diesen Typen schon, da er des Öfteren bei uns zu Hause gewesen war. Und ich merkte natürlich auch, dass er sich in mich verguckt hatte.«

Sie ließ ihre Finger über die Brust von Hans Schmidt gleiten und küsste ihn kurz auf den Mund. Er lag auf dem Rücken, die Bettdecke bis zum Bauchnabel hochgezogen, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und blickte zur Decke. Er reagierte kaum auf die Berührung. »Tja, dieser Mann stand am nächsten Abend ohne seinen Partner vor meiner Tür. Ich ließ ihn eintreten und bot ihm etwas zu trinken an, ich redete und redete und redete, weil ich nicht hören wollte, was er zu sagen hatte, denn ich wusste, weshalb er gekommen war. Er wartete geduldig, bis ich keine Gesprächsthemen mehr fand. Ich erinnere mich noch genau, wie er sich nach vorn beugte, die Hände faltete und mich mit seinen graublauen Augen fixierte. Er sagte: >Frau Schumann, Sie wissen, wie sehr ich Sie schätze. Es gibt etwas, worüber ich mit Ihnen unter vier Augen sprechen muss, deshalb bin ich heute Abend auch ohne meinen Partner gekommen. Um es kurz zu machen: Ich weiß, dass Sie Ihren Mann umbringen ließen, aber ich kann es nicht beweisen. Doch ich kann eins tun, ich kann Beweise präsentieren, die Sie für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter bringen. Ich denke, Sie verstehen, was ich meine.<«

Sarah Schumann trank den Rest Wasser und schenkte sich nach. Sie wischte sich mit einer Hand über die schweißnasse Stirn, obwohl es nicht sonderlich warm im Schlafzimmer war.

»In dem Moment ist mir das Herz in die Hose gerutscht. Ich wusste, ich würde aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen, denn er hatte mich in der Hand. Selbst wenn ich unschuldig gewesen wäre, hätte er alle Macht der Welt gehabt, mir getürkte Beweise unterzujubeln. Er machte mir dann noch einige Komplimente, wie schön ich sei und dass er mich schon vom ersten Blick an gemocht habe und sich stets eine Frau wie mich gewünscht habe. Doch es war, als würden seine Worte aus unendlicher Ferne zu mir dringen. Nach einer Weile kam er wieder auf das eigentliche Thema zurück und sagte mit ziemlich scharfer Stimme, es gäbe für mich nur eine einzige Möglichkeit, dem Gefängnis zu entkommen: Ich müsse ihm den Namen desjenigen verraten, der den Mord begangen hat.«

Als sie nicht weitersprach, fragte Hans Schmidt: »Wie heißt der Mann?«

»Nicht jetzt, später. Plötzlich war ich wieder ganz klar im Kopf. Mir wurde bewusst, dass da mehr dahintersteckte, als nur einen Killer dingfest machen zu wollen. Ich fragte ihn, warum er den Namen haben wolle. Er zögerte einen Moment, aber dann sagte er, er wolle wissen, wer diesen perfekten Mord begangen habe, denn beim Verfassungsschutz und anderen Organisationen wäre man permanent auf der Suche nach einem solchen Mann. Er brauche nur den Namen, dann würde mir nichts passieren ...«

»Hast du ihm meinen Namen gegeben?«, fragte Hans Schmidt ungewohnt nervös.

»Nein, nein, keine Sorge, natürlich nicht. Aber ich habe ihm einen Deal vorgeschlagen: Ich würde in Zukunft für den Verfassungsschutz arbeiten, indem ich jeweils den Kontakt zu dir herstellen würde. Etwas anderes käme gar nicht in Frage ... Wenn mir jemand ein paar Tage zuvor gesagt hätte, ich würde einmal für den Verfassungsschutz tätig sein, hätte ich demjenigen den Vogel gezeigt. Aber von jetzt auf gleich war ich mittendrin. Der Typ überlegte und ging schließlich auf mein Angebot ein. Den Rest kennst du.«

»Nein, ich glaube, ich kenne den Rest noch immer nicht. Okay, du hast die Vermittlerin gespielt, und ich habe Menschen liquidiert, die unbequem geworden waren. Das ist aber noch immer nicht die ganze Wahrheit. Sarah, da ist noch mehr, und ich habe das Recht zu wissen, was das ist.«

Sie zupfte an ihrer Bettdecke, es schien, als sortierte sie ihre Gedanken. »Ja, da ist noch mehr. Er hat mich bedrängt und von mir verlangt, mit ihm zu schlafen. Ich wollte das nicht, weil er mich angeekelt hat, aber ich hatte auch da keine Wahl. Er sagte, damit würden wir unseren Deal besiegeln. Er kam danach noch einige Male, bis seine Besuche von jetzt auf gleich aufhörten und wir nur noch telefonisch Kontakt hatten. Er nannte mir jeweils die Zielperson und gab mir alle anderen Angaben durch,

ich setzte mich mit dir in Verbindung, und du hast den Rest erledigt.«

»Okay, wie heißt der Typ?«

»Karl Albertz.«

»Karl Albertz?«, fragte Schmidt mit zusammengekniffenen Augen. »Der Karl Albertz? Groß, hager, Mitte, Ende fünfzig, graublaue Augen, graue Haare, ziemlich viele Falten, Whiskeytrinker ...«

»Du kennst ihn?«, stieß Sarah Schumann verwundert hervor.

»Allerdings. Er wohnt gleich hier um die Ecke, nur ein paar Minuten von mir entfernt, in der Bismarckallee, da, wo der Kreisel ist. Wir sind sozusagen Nachbarn. Ich habe für ihn zwei Expertisen erstellt. Ich hatte bis eben nicht den leisesten Schimmer, dass er beim Verfassungsschutz ist, mir gegenüber hat er stets behauptet, bis vor zehn Jahren ein großes Unternehmen besessen zu haben und jetzt im Ruhestand zu sein. Ganz offensichtlich weiß auch er nicht, dass ich der Mann bin, den er seit beinahe fünfundzwanzig Jahren sucht. Er war am Samstag übrigens auch auf dem Fest beim Grafen. Interessantes Spiel.«

»Nein, mein Lieber, das ist kein interessantes Spiel, denn Albertz ist eines der höchsten und gefährlichsten Tiere innerhalb der Organisation. Er ist Logistiker und bestimmt den Kurs. Er pflegt Kontakte bis in die Spitzen von Politik und Wirtschaft, er ist einer von denen, die aus dem Hintergrund agieren und die Fäden in der Hand halten, sich aber nie zu erkennen geben. Mit ihm ist nicht zu spaßen, das kann ich dir versichern. Er ist hinterlistig und verschlagen und spielt sein eigenes Spiel. Ihm geht es allein um seinen Vorteil, andere interessieren ihn nicht. Er hat seine Handlanger, die alles für ihn tun, sogar töten. Nur die großen und besonders wichtigen Aufträge überlässt er anderen, wie zum Beispiel dir.« »Woher weißt du das alles?«

»Ich habe auch meine Beziehungen. Glaub mir, ich war in all den Jahren nicht untätig und habe mir das Vertrauen von so manch einem erschlichen und manchmal auch erkauft. Das vorletzte Mal haben Albertz und ich uns vor fünf Jahren gesehen, eine zufällige Begegnung, als er in Nizza war und wir uns in deinem Restaurant über den Weg gelaufen sind. Du warst leider nicht da ...«

»Du hast mir nie davon erzählt.«

»Es schien mir bisher nicht wichtig. Er ist später bei mir vorbeigekommen. Ich habe ihm jedoch deutlich zu verstehen gegeben, dass ich keinen Wert auf seine Gesellschaft lege, ich konnte mir das leisten, denn ich hatte drei Bekannte im Haus. Daraufhin ging er wieder. Er ist ein eiskalter Hund, gefühllos, furchtlos, hinterhältig, verkommen ... Such dir irgendein negatives Attribut aus, es trifft auf ihn zu. Er benutzt Menschen, wie es ihm beliebt. Wenn er etwas sagt, weißt du nie, ob es die Wahrheit ist. Das ist Albertz. Er ist unglaublich intelligent und den meisten intellektuell um Längen voraus. Für Albertz ist alles ein Spiel, und er ist immer der Gewinner ... Bist du jetzt sauer auf mich?«

»Du hast eben gesagt, das vorletzte Mal war in Nizza. Wann habt ihr euch das letzte Mal gesehen?«, fragte Schmidt mit zusammengekniffenen Augen. »Kurz vor Weihnachten in Frankfurt. Er kam wie immer unangemeldet und hat mir ein Geschenk überreicht, eine goldene Pistole für die Handtasche als Wertschätzung für meine treue Mitarbeit über all die Jahre. Ich habe mich bedankt, ihm einen Whiskey spendiert, nach zehn Minuten war er wieder verschwunden. Und jetzt sag, bist du sauer auf mich?«

Ohne auf die Frage einzugehen, antwortete Schmidt: »Moment, er hat ein Haus hier, du hast ein Haus hier. Ihr wohnt zu Fuß keine zehn Minuten voneinander entfernt. Er wird doch wohl wissen, wo du wohnst, oder?« »Er war noch nie in diesem Haus, das schwöre ich dir.« »Das kann sich aber schnell ändern, wenn er tatsächlich so intelligent und verschlagen ist, wie du sagst ...« »Wieso?«

»Nachdem ich Bruhns und Klein eliminiert habe, wird er alles daransetzen, Informationen über mich einzuholen. Er wird, wenn ich ihn richtig einschätze, dann auch mit dir in Verbindung treten, da er sich denken kann, wer hinter den Morden steckt, und da du für ihn die einzige Person bist, die mich kennt, wird er nichts unversucht lassen, den Namen aus dir herauszubekommen ... Wen kennst du noch beim Verfassungsschutz?« »Eigentlich nur Albertz. Als das Internet aufkam, hat er ja den Kontakt mit dir direkt aufgenommen ...« »Nein, nicht direkt, ich habe hundertzwei Zwischenstationen geschaltet, aber das spielt jetzt keine Rolle. Was ist mit Bernhard Freier?«

»Natürlich kenne ich den, Entschuldigung, habe ich ganz vergessen. Er ist Albertz' rechte Hand. Die beiden bilden eine perfekte Einheit. Sie sind die wichtigsten Figuren in diesem Spiel. Wie kommst du auf Freier?«

Schmidt zuckte die Schultern und lächelte. »Albertz wird sich jemand Neuen suchen müssen.«

»Du hast auch Freier beseitigt?«, stieß Sarah Schumann entsetzt hervor. »Das ist Wahnsinn, wenn sie es nicht schon tun, dann werden sie dich spätestens jetzt jagen ...«

»Sie werden mich aber nicht kriegen. Ich sage nur: noch eine Ratte weniger. Aber dass Albertz der große Zampano ist, damit hätte ich im Leben nicht gerechnet. So kann man sich täuschen, ich habe mich schon die ganze Zeit über gefragt, wer ist der große Unbekannte, der alles lenkt. Jetzt weiß ich's. Das heißt aber auch, er weiß alles über dein Leben, alles bis ins letzte Detail.« »So sieht's wohl aus. Er weiß alles über mich und ...« Als sie nicht weitersprach, sagte Schmidt: »Was ist mit deinen Töchtern?« »Was meinst du?«

»Haben sie je Missbrauch erfahren, oder sind sie vergewaltigt worden?«

»Wie kommst du ausgerechnet darauf?«

»Instinkt. Wenn Albertz dich zum Sex zwingt, dann ...«

»Ja, sie haben sowohl das eine als auch das andere erlebt, aber nicht durch Albertz. Bitte, ich möchte nicht weiter darüber sprechen, es zerreißt mir jedes Mal das Herz, wenn ich nur daran denke. Lass es auf sich beruhen. Es ist mit ein Grund, weshalb sie so weit weg von mir wohnen und ich sie kaum noch zu Gesicht bekomme.«

»Von wem wurden sie missbraucht?«, ließ Schmidt nicht locker.

»Hör auf. Bitte.«

»Nein, wir ziehen das jetzt durch. Sie sind beide ans andere Ende der Welt gezogen, weil sie ...« »Was immer du jetzt sagen willst, es ist falsch. Ich habe sie ans andere Ende der Welt verfrachtet, damit sie in Sicherheit sind. Ich war immer erpressbar, aber ich wollte meine Kinder aus der Schusslinie bringen. Vor ein paar Jahren habe ich ihnen erklärt, warum ich diesen Schritt für sie gewählt habe. Albertz weiß nicht, wo sie sich aufhalten. Mein Gott, ich habe drei Enkelkinder, zwei wundervolle Schwiegersöhne, ich könnte es niemals verwinden, wenn einem von ihnen meinetwegen etwas zustoßen würde.«

»Klein?«, ließ Schmidt nicht locker.

»Lass es auf sich beruhen, es ist eine lange Zeit seitdem vergangen. Bitte.«

»Okay, fassen wir zusammen: Albertz ist die Schlüsselfigur, und ich dachte die ganze Zeit über, es wäre Freier oder gar der Innenminister. Dabei ist Albertz das Oberhaupt der Familie. Er bewegt sich ungehindert auf allen Parketten, niemand kann ihm an den Karren fahren, er ist der Kopf des Kinder- und Frauenhandels, weshalb ihn Kleins Tod besonders hart getroffen haben muss. Auch der Tod von Bruhns und der Steinbauer muss ein Schlag für ihn gewesen sein, denn die Steinbauer war ein ehrgeiziges und machtgeiles junges Ding, das für Geld alles getan hat. So jung und so verdorben ... Nun, wie auch immer, ich habe dem alten Sack und seinem Clan jetzt schon mächtig Schaden zugefügt. Ich schwöre dir, es wird noch mehr werden. Bald ist er fällig.«

Schmidt fuhr sich über das Kinn. »Moment, irgendwo ist da ein Denkfehler. Albertz der Kopf? Traust du ihm das zu?«

»Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seite denke ich, es gibt immer noch welche, die mächtiger sind. Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.«

»Ich werde es herausfinden«, sagte Schmidt und holte tief Luft. »Ich kenne Albertz und kann mir vorstellen, dass er ein Alphatier ist. Albertz als Chef-Logistiker, das glaube ich sofort. Aber als einer, der eine ganze Organisation nicht nur logistisch, sondern auch politisch führt... Nein, oder Albertz ist der beste Schauspieler der Welt. Ich werde ihn mir auf jeden Fall vorknöpfen.« »Wie willst du an ihn rankommen?« »Das lass mal meine Sorge sein. Wenn ich Albertz den Kopf abschlage, wird auf jeden Fall das ohnehin schon große Loch in der Organisation noch größer werden. Ich muss jetzt schnell handeln, damit die sich nicht absprechen können ... Sarah, ich bitte dich, verschwinde aus Kiel und tauche für eine Weile irgendwo unter. Geh am besten ins Ausland. Du bist hier nicht sicher. Albertz wird eher heute als morgen bei dir auf der Matte stehen, das habe ich im Urin.«

»Nein«, sagte sie mit einem milden Lächeln, »ich werde hierbleiben, bis alles vorüber ist. Ich bin immer davongelaufen, wenn es kritisch wurde, diesmal nicht. Das bin ich nicht nur meinen Töchtern, sondern auch vielen Kindern und Frauen schuldig, vor allem aber meiner Nichte. Du bist wirklich nicht sauer auf mich?« »Nein, das Einzige, was ich dir ein wenig übelnehme, ist, dass du mir nicht schon längst von Albertz erzählt hast. Warum hast du das die ganze Zeit für dich behalten? Ich verstehe das nicht. Ich dachte, wir wären so«, sagte Schmidt und überkreuzte Zeige- und Mittelfinger. »Sind wir doch auch. Ich kann dir nicht sagen, warum ich es dir verschwiegen habe. Wahrscheinlich war es die Angst vor ihm. Ich habe Angst vor ihm, und ich habe Angst, dass er stärker und cleverer sein könnte als du. Ich möchte dich nicht verlieren, du bist mein bester Freund und in wenigen glücklichen Stunden auch mein Geliebter. Ich habe vieles in meinem Leben bereut, jedoch niemals, dich kennengelernt zu haben. Wie ist es bei dir?« »Hätte ich mit dir geschlafen, wenn ich es bereuen würde?«

Sarah Schumann kämpfte wieder mit den Tränen und konnte sie diesmal nicht zurückhalten. Sie nahm ein Taschentuch vom Nachtschrank, wischte sich die Tränen ab und putzte sich die Nase. »Danke, das hat mir gutgetan. Ich möchte so gerne Maria kennenlernen, diese Frau von einem anderen Stern ... Komm wieder ins Bett, ich möchte in deinen Arm.«

Schmidt legte sich hin, Sarah Schumann schmiegte sich wie eine Katze an ihn.

»Sie ist nicht von einem anderen Stern, sie ist nur etwas ganz Besonderes. Wir werden heiraten, sobald das alles hier vorüber ist. Du bist herzlich eingeladen, uns schon vorher zu besuchen.«

Sarah Schuman hörte sein Herz in ruhiger Gleichmäßigkeit schlagen und sagte leise: »Hör auf, lass es einfach gut sein. Du kannst nicht die ganze Organisation besiegen, du bist nicht Rambo oder irgendein Comic-Held, der alle Bösen der Welt besiegt, ohne selbst Schaden zu nehmen. Lass es sein.«

»Sarah, hättest du mir nicht von deiner Nichte erzählt und was Klein ihr angetan hat, würde ich das alles nicht tun. Ich kann nicht mehr zurück, denn ich würde mich für den Rest meines Lebens als Feigling fühlen. Jemand muss denen die Stirn bieten und ihnen zeigen, dass sie nicht unverwundbar sind. Ich weiß, dass sie trotz allem weitermachen werden, aber ich kann sie zumindest für eine Weile außer Gefecht setzen. Noch zwei, nur noch zwei, dann gehe ich zurück nach Lissabon. Versprochen.« »Wie willst du das mit Albertz machen?« »Du hast doch selbst gesagt, er kennt meinen Namen nicht. Er weiß nicht, wie ich aussehe, wo ich wohne, er weiß nichts, es sei denn, du hast ihm doch von mir erzählt.«

»Habe ich nicht, wie oft soll ich das noch sagen?«, fuhr Sarah Schumann ihn an.

»Na also. Ich habe schon eine Idee. Simpel, aber sehr effektiv. Ich hoffe nur, ich komme ihm zuvor... Was machst du da?«, fragte er, als ihre Hand immer tiefer glitt. »Ich will noch einmal mit dir schlafen. Gefällt dir das?« »Ich würde lügen, wenn ich nein sagen würde.« Hans Schmidt blieb bis zum Morgen. Um acht sah er erschrocken auf die Uhr, es war schon hell, und er wollte nicht dem Hausmädchen über den Weg laufen. »Ich muss mich sputen«, sagte er und gab Sarah einen Kuss. »Es war eine wunderschöne Nacht. Aber ich habe heute noch sehr viel vor. Sehr, sehr viel. Ich halte dich auf dem Laufenden.«

»Es war die schönste Nacht seit einer halben Ewigkeit. Komm, noch eine Umarmung, dann darfst du gehen«, flüsterte sie in sein Ohr.

Um Viertel nach acht verließ er unbemerkt das Grundstück, nur zwei Autos parkten auf der gegenüberliegenden Straßenseite, doch beide waren leer, die Scheiben leicht beschlagen. Zu Hause duschte er, zog sich um und rief Maria an. Er hatte kein schlechtes Gewissen und brauchte sich deshalb auch nicht zu verstellen, als er ihr versicherte, wie sehr er sie liebte.

Er frühstückte zwei Scheiben Toast mit Putenschinken, dazu trank er eine Tasse Pfefferminztee. Er machte sich einige Notizen, ging in die Kammer hinter der Bücherwand, entnahm zwei Utensilien und blieb noch eine Stunde im Wohnzimmer sitzen, um alles mehrmals durchzuspielen. Als er sicher war, dass sein Plan keinen Fehler hatte, stand er auf, um zu gehen. Er war bereits an der Tür, als das Telefon klingelte. »Ja?«

»Ich bin's, Sarah. Ich wollte dir nur viel Glück wünschen, du wirst es brauchen. Ich werde den ganzen Tag Angst haben, denn du hast mir nicht gesagt, was du heute vorhast. Bitte sag mir, dass ich keine Angst zu haben brauche.«

»Du brauchst keine Angst zu haben. Du wirst sehen, bald herrscht Ruhe, denn ich werde dafür sorgen.«

»Ich weiß, ich verhalte mich wie ein kleines Kind, aber ich kann nichts dagegen tun. Darf ich dich noch etwas fragen?«

»Nur zu.«

»Hast du jemals bereut, so viele Menschen getötet zu haben?«

»Nein, denn sie waren keinen Deut besser als ich. Eine andere Antwort kann ich dir nicht geben.« »Du bist kein schlechter Mensch, ein schlechter Mensch kann nicht so lieben wie du. Sei vorsichtig und pass auf dich auf. Ich werde in Gedanken immer bei dir sein. Immer, hörst du?«

»Danke. Lenk dich ab, sitz nicht einfach rum und grüble. Das macht dich nur noch nervöser. Die Sonne scheint. Setz dich ins Auto und fahr irgendwohin. Tu etwas. Heute Abend telefonieren wir, oder ich komm bei dir vorbei. Abgemacht?«

»Mal sehen, ob ich mich aufraffen kann. Mach's gut und denk daran, die Gefahr kann hinter jeder Ecke lauern.«

»Damit kenne ich mich aus. Ciao, meine Liebe, und mach dir einen schönen Tag.«

»Tschüs.«

Hans Schmidt überprüfte ein letztes Mal den Inhalt seiner Jackentaschen, bevor er nach draußen ging, die Tür abschloss und mit dem Jaguar vom Grundstück fuhr. Sein Ziel war die Innenstadt. Dort angelangt, überlegte er es sich anders, verwarf seinen Plan und fuhr zurück zu seinem Haus. Heute war nicht der Tag, heute würde er es nicht tun. Er strich den Namen von seiner Liste und beschloss, nur noch einen zu beseitigen. Albertz.

 

Eisige Naehe
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